(1887-1944)
Franz Wiegele wurde am 23. Februar 1887 als drittes von vier Kindern des Ehepaares Gertrud und Franz Wiegele sen. in Nötsch geboren. Der Vater war Maschinenschlosser und betrieb in Nötsch eine Schmiede. Mit seinem jüngeren Bruder Alfred (1892 – 1979) besuchte er die Unterstufe der Mittelschule in Triest, wechselt aber 1900 in die Realschule in Klagenfurt, die er 1905 mit der Matura abschloss. Bereits während seiner Schulzeit begeisterte er sich besonders für den Zeichenunterricht, der nach Vorlagen, Gipsmodellen und der Natur abgehalten wurde. Wiegeles erste Zeichnungen und malerische Versuche sind daher durch eine exakte, naturnahe Wiedergabe der einzelnen Objekte geprägt.
Nachdem Franz Wiegele ein Jahr in der väterlichen Schmiede gearbeitet hatte, begann er 1907, vermutlich auf Anregung seines Nötscher Malerfreundes Sebastian Isepp (1884 – 1954), das Studium an der Akademie der bildenden Künste in Wien, wo er zuerst die Allgemeine Malerschule bei Professor Christian Griepenkerl, danach die Spezialschule für Malerei unter Professor Heinrich Lefler und Professor Rudolf Bacher besuchte. Ab 1908/09 erhielt er ein Staatsstipendium und 1909 wurde ihm der Dessauer-Preis zuerkannt.
Allerdings gingen die für Franz Wiegele prägenden künstlerischen Einflüsse nicht so sehr von seinen Lehrern aus als von der kulturellen Atmosphäre der Stadt und seinen gesellschaftlichen Beziehungen zu Intellektuellen und Künstlerkollegen. Zeitgleich mit ihm trat auch der junge, aus dem mährischen Neutitschein stammende Anton Kolig (1886 – 1950) in die Wiener Akademie ein. Zwischen den beiden angehenden Malern entwickelte sich rasch eine Freundschaft, die 1911 durch Koligs Heirat mit Wiegeles Schwester Katharina (1885 – 1971) zusätzlich in ein verwandtschaftliches Verhältnis überging. Ein weiterer Kommilitone Wiegeles an der Akademie war Egon Schiele (1890 – 1918), mit dem er bis zu dessen frühem Tod in Kontakt blieb. Als Reaktion auf die Unzufriedenheit über den etablierten Lehr- und Kunstbetrieb formierten sich am 17. Juni 1909 einige Studenten unter der Führung von Schiele zur „Neukunstgruppe“. Zu den Gründungsmitgliedern dieser für die österreichische Moderne maßgeblichen Vereinigung gehörte auch Franz Wiegele. Gemeinsam war ihnen in erster Linie ihre Opposition gegen den akademischen Unterricht und die Abkehr von Tradition und ästhetischen Konventionen, sie vertraten jedoch keine einheitliche Kunstauffassung oder gleichartige stilistische Gestaltungsmittel. Schon im Dezember 1909 fand die erste Ausstellung der Neukunstgruppe im Wiener Kunstsalon Pisko am Schwarzenbergplatz statt. Im Februar 1911 veranstaltete sie die richtungsweisende „Sonderausstellung für Malerei und Plastik“ in den Räumen des Wiener Hagenbundes, an der Franz Wiegele mit seinem 1910 entstandenen, ersten bedeutenden Hauptwerk, den „Akten im Wald“ und neun Zeichnungen teilnahm.Zusammen mit seinem Schwager Anton Kolig und dessen Familie reiste Franz Wiegele am 4. November 1912 nach Paris, um einen mehrmonatigen Frankreichaufenthalt anzutreten, der den beiden jungen Künstlern auf Vermittlung von Carl Moll (1861 – 1945) und Gustav Klimt (1861 – 1918) dank der Kathi-Fröhlich-Stiftung der Gemeinde Wien und privater Mäzene ermöglicht wurde. Sein Bild „Akte im Wald“ nimmt er dorthin mit. In Paris beschäftigte er sich hauptsächlich mit dem Studium der Werke alter Meister im Louvre, daher war seine eigene künstlerische Produktion in dieser Zeit gering.
1913 unternahm Wiegele eine Studienreise nach Holland und in den Elsass zu Grünewalds Isenheimer Altar in Colmar. Den Sommer verbrachte er gemeinsam mit dem Ehepaar Kolig und den Kindern Thaddäus und Marie Antoinette in Ambleteuse, einem kleinen Fischerort nahe der nordfranzösischen Hafenstadt Boulogne-sur-Mer, wo ihn auch seine Mutter Gertrud kurzzeitig besuchte. Im Mai 1914 begab er sich auf eine längere Nordafrikareise, die ihn nach Algerien und Marokko führte. Die Stadt Tlemcen, ein südwestlich von Oran gelegenes Handelszentrum, war sein Stützpunkt, von wo er Ausflüge ins Landesinnere unternahm. Anfang Juni machte er zusammen mit dem deutschen Maler Max Burchartz (1887 – 1961) und dessen Gattin Gertrud eine Expedition in die Wüstenstadt Figuig im äußersten Südosten Marokkos am Rande der Sahara. Vom Ausbruch des 1. Weltkrieges überrascht, wurde Wiegele in Algerien von den Franzosen verhaftet, vorübergehend in Oran festgehalten und schließlich in einem Lager für aufständische Araber in Sebdou bei Tlemcen zum Arbeitsdienst eingeteilt.Nach einer schweren Lungenerkrankung wurde Wiegele Mitte Mai 1916 in ein Internierungslager auf der Insel St. Marguérite bei Cannes überstellt. Gegen Jahresende verlegte man den Maler auf Vermittlung des österreichischen Gesandten in Zürich als Austauschgefangenen zur Genesung in das Sanatorium Lenzerheide bei Chur. Im Mai 1917 übersiedelte Franz Wiegele nach Zürich und begann sich dort auf Anraten seiner Nötscher Verwandten als freischaffender Maler eine neue Existenz aufzubauen. Er knüpfte bald gesellschaftliche Kontakte und verkehrte in Kreisen, die ihm neben Beziehungen zu Künstlerkollegen und Literaten auch den Zugang zu bekannten Schweizer Sammlerfamilien ermöglichten. Zu seinen Förderern und Freunden während der Schweizer Jahre zählten vor allem die Familien Reinhart und Gonzenbach, der Jurist Gottfried Stiefel und dessen Schwester Lise Rioult, der Komponist Othmar Schoeck, die Maler Ernst Morgenthaler und Karl Hofer sowie der Bildhauer Hermann Haller, der Schriftsteller Hermann Hesse und die Tänzerin Luise Zodel. Es ergaben sich in der Folge zahlreiche Porträtaufträge, die ihm eine gewisse materielle Absicherung boten. Auch seine Modelle bezog er aus diesem Bekanntenkreis. Während der Sommermonate besuchte Franz Wiegele regelmäßig seine Mutter und die Familie Kolig in Nötsch.
Franz Wiegele löste schließlich 1927 sein Atelier in der Schweiz zur Gänze auf und kehrte endgültig nach Nötsch zurück. Er lebte nun im gemeinsamen Haushalt mit seiner Mutter Gertrud. Wiegele begann an dem großformatigen Gruppenbildnis „Familienbild Hubert Isepp“ zu arbeiten, das ein Jahr später von der Österreichischen Galerie Belvedere in Wien erworben wurde. Alfred Wiegele, der sich in Nötsch eine Farbmühle zu einer neuen Getreidemühle umgebaut hatte, finanzierte den Bau eines Wohnhauses mit Atelier für seinen Bruder Franz nahe der eigenen Familienvilla. Er wurde in den folgenden Jahren der wichtigste Mäzen des Malers. 1932/33 entstand Wiegeles Hauptwerk seiner Nötscher Zeit, das großartige Familienbild Alfred Wiegele „Die glückliche Familie“. Neben der Malerei widmete er sich auch leidenschaftlich der Jagd und der Rosenzucht. Franz Wiegele freundete sich mit Otto Zernatto, dem Bruder des Staatssekretärs und Dichters Guido Zernatto, an, der ihm zu einem bevorzugten Jagdfreund wurde. 1937 begann ein schweres Augenleiden die Sehkraft des Künstlers zu behindern und bewirkte eine Einschränkung in seinem malerischen Schaffen. Daher widmete er sich vermehrt plastischen Arbeiten. Wiegele fertigte eine Reihe von Porträtbüsten und -köpfe, die vor allem seine Mutter zum Modell hatten. Schließlich konnte 1938 durch eine Therapie des Klagenfurter Augenfacharztes Dr. Adolf Purtscher Wiegele seine Sehkraft wiedererlangen. Am 17. Dezember trafen Fliegerbomben das Wohn- und Atelierhaus Franz Wiegeles, wobei der Künstler gemeinsam mit seiner Mutter Gertrud, seiner Schwester Hedwig Fina (1883 – 1944) und deren Ziehtochter Maria Kassin (1927 – 1944) den Tod fanden und viele seiner Werke zerstört wurden.